Kommentar
Egal, was Picasso macht, ob er gerade etwas Gutes erschnüffelt hat, einen Artgenossen erblickt oder sich nur seiner Freiheit erfreut, alle 5-10 Sekunden blickt er zu mir. Während seine Ohren immer dieselbe Stellung behalten, sind seine Augen ungewöhnlich wach und unruhig, als würden sie versuchen, die gesamte Umwelt mit dem Blick einzufangen. Picasso ist, wie so viele Dalmatiner, taub geboren. Er ist Opfer eines Genfehlers, der leider noch immer häufig bei der Dalmatiner-Zucht vorkommt. Doch, auch wenn die Tatsache an sich furchtbar ist und erneut beweist, dass die Eingriffe des Menschen in die Natur verheerende Folgen für viele Kreaturen haben können, ist es kein Grund für meinen gepunkteten Liebling, das Leben nicht genauso zu lieben wie seine hörenden Artgenossen.
Die meisten Hundehalter, die ihre Hunde nicht ausschließlich per Stimme erziehen, haben wahrscheinlich schon die Erfahrung gemacht, dass der Hund überraschenderweise sehr viel schneller mit Handzeichen und Körpersprache lernt als mit Kommandos. Dies liegt daran, dass Hunde unter sich hauptsächlich mit Körpersprache kommunizieren. Aus diesem Grund haben taube Hunde oftmals keinerlei Probleme, ihre Artgenossen zu verstehen und mit ihnen zu kommunizieren. Wir Menschen sind viel eher diejenigen, die so viel Wert auf Sprache und Stimme legen. Deswegen ist die Taubheit des Hundes, auch wenn das Hörorgan bei Hunden natürlich viel besser ausgeprägt ist als beim Menschen, nicht zu vergleichen mit der Taubheit des Menschen. Ein Großteil unserer Kommunikation läuft über Sprache und Stimmton. Die einzigen Kommunikationslaute, die Hunde über ihre Stimme von sich geben, sind das Bellen, das Knurren und der Schmerzensschrei. Die beiden Ersteren sind lediglich Unterstützung und Verstärkung einer klaren Körpersprache, wie des Fletschens der Zähne und des Hochziehens der Lefzen beim Knurren oder der uns Hundebesitzern gut bekannten Spielaufforderung, die meist mit einem freudigen Bellen einhergeht. All diese Dinge kann ein tauber Hund, der viel mehr auf visuelle Reize geprägt ist, genauso schnell erkennen wie ein hörender Hund. Einzig der Schmerzens- und Warnschrei bringt überraschenderweise keinerlei Körpersprache mit sich. Hier ist es dann doch Aufgabe des Besitzers, das übermütige Täubchen beim zu rabiaten Toben zurückzuholen.
„Sitz, platz, komm!“ mal anders...
Dieser Fokus auf Körpersprache macht einen tauben Hund nicht selten zu einem besseren Trainingspartner als einen hörenden Hund, da er nicht nur extrem darauf gepolt ist, jede Veränderung des Körpers seines Menschen zu bemerken und zu lesen, sondern weil er durch das fehlende Hörvermögen ohne Zweifel eine bessere Konzentrationsfähigkeit hat als ein Hund der Straßenlärm, Bellen und andere Außeneinflüsse ausblenden muss.
Auch Picasso bewies diese Gabe schon als Welpe. In Rekordzeit konnte er Grundkommandos wie Sitz, Platz, Bleib, Komm etc. und lernte mit Begeisterung jedes Sichtzeichen. Doch natürlich gab es noch viel mehr, was Picasso außer jenen Kommandos lernen musste. Einen tauben Welpen zu erziehen stellt den Besitzer vor große Herausforderungen und ist meines Erachtens zu 90% Intuitionssache und zu 10% Fachwissen. Bevor ich Picasso zu mir geholt habe, las ich sämtliche auf dem Markt existierende Literatur über taube Hunde. Hatte ich zu Beginn noch Sorge, da die Auswahl nicht sehr breit war, hätte ich mir im Nachhinein die Hälfte der Käufe sparen können. Letztendlich musste ich bei Picasso lernen zu improvisieren, zu entscheiden, was mir besonders wichtig ist und vor allem musste ich lernen, ihn zu lesen, zu verstehen, wie er denkt und was bei ihm Erfolg haben kann und was nicht.